Page 9 - Galerie Schrade | 50 Jahre - seit 1971
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Bereich, sondern gerade auch in den Kunstgalerien   Leinwandtextur wird materialästhetisch zu einem
                  nehmen das Hinterfragen der lange genug wie   zentralen formalen Faktor.
                  zementiert erscheinenden Suprematie und die   Shmuel Shapiro  (1924-1983) war es, der für
                  überfälligen Neubewertungen nun Fahrt auf.         die Galerie das Tor in die Vereinigten Staaten
                  Insgesamt sind in dieser Ausstellung rund    aufstieß. Umgekehrt öffnete Ewald Schrade dem
                  zwei Dutzend Künstler  und  Künstlerinnen    Amerikaner mit russischen Wurzeln, der mit de
                  Gewährspersonen für die Galeriearbeit von Ewald   Kooning befreundet war, aber auch mit Corneille
                  Schrade, der auf  Kontinuität setzt, aber ebenso   sowie Nicolas de Staël, die Augen für die Schönheit
                  offen ist für Neuzugänge. Konsequent nationale   des Allgäu, wo er sich niederließ. Schrade: „Er kam
                  und international wegweisende Positionen in   und war da.“ Shapiro,  zunächst als Soldat nach
                  seinem Portfolio zu verankern, sei für ihn, so   Europa gelangt und später  mit einem Fulbright
                  Schrade, verpflichtend wie „das Amen in der   Stipendium zurück gekehrt,  dankte dies seinem
                  Kirche“.                                     Galeristen beherzt frühmorgens ab sechs: „Boy,
                                                               wir müssen arbeiten!“ Die Erinnerungen gruben
                  Fritz Winter (1905-1976) ist ein Altmeister der   sich ein bis zum heutigen Tage.  Im  Allgäuer
                  Abstraktion und einer ihrer wichtigsten Vertreter in   Land entstanden abstrakte Impressionen. Trotz
                  Deutschland, den besondere Experimentierfreude   großzügigen  gestischen  Farbauftrages  ist die
                  auszeichnet, manifest etwa in  „Zueinander (WK   Nähe zum Abstrakten Expressionismus in seinen
                  2002)“ (1955), dem Bild  einer  Begegnung. Seit   Werken nicht dominant: Shapiro denkt auch Monet
                  1935 befand sich der gebürtige Westfale in der   weiter. Zeichnerisch setzte er sich auseinander mit
                  „inneren Emigration“ am Ammersee, erhielt 1937   dem Holocaust.  „Kletterpflanzen vor meinem
                  Malverbot. Die Nachkriegsmalerei in Deutschland   Fenster“ (1977) sind Beispiel  für Malerei, die
                  prägte er entscheidend durch seine kompromisslose   sich befreit hat von einem inneren Zwang, der
                  und kraftvolle Abkehr vom Gegenstand mit dem   in der Künstlerbiografie begründet liegen kann.
                  Ziel einer neuen Bildsprache und -grammatik, die   Einen zentralen Repräsentanten des Informel als
                  eine innere Logik nährt, während sie elementare   Bezugsfigur hat als Schüler von K.R.H. Sonderborg
                  Grundlagen haben kann wie die „Triebkräfte   der Stuttgarter Künstler  Michael  Urtz (*1952),
                  der Erde“.  Winter ist wegweisend auch als   dessen Weg Naturstudien begleiteten. Er erfasst
                  Mitbegründer der Künstlergruppe ZEN  49  in   mit Farbe den Raum, indem er ihn gleichsam
                  München.                                     durchwirkt.  Nicht  Farbfeldmalerei  entsteht
                  Mit  Georg Meistermann  (1911-1990)  hielt   jedoch, vielmehr dringt Urtz beispielsweise in
                  ein Maler mit ähnlichem Schicksal -   auch   „Weißzeit“ (2011) in die Raumtiefe vor, ohne sie
                  er ein Wegbereiter, der unter den Nazis      zentralperspektivisch zu vermessen, wohingegen
                  Ausstellungsverbot erhielt - die Laudatio anlässlich   Bernd Zimmer (*1948)  sein „Unwetter  (Mai)“
                  der Eröffnung der ersten Fritz-Winter-Ausstellung   (2018) als aufwühlendes Ereignis in der Nachfolge
                  am Galeriestandort Kißlegg kurz nach dem     William Turners über die Leinwand fegen lässt.
                  Tod des Künstlers. Meistermanns Gemälde      Auch ohne Kenntnis des Bildtitels kommen
                  „Das Blatt“  (1975), eine Kostbarkeit, zumal der   die  formalen Kapriolen beim  Betrachter als
                  Bildgegenstand wie ein Schmuckstück -  etwa   dramatischer Wind- und Wettertanz an. Der tiefe
                  eine Brosche -  in den Bildraum gebettet scheint,   Horizont und wenige kompositorische Hinweise
                  ist eine raffiniert komponierte Arbeit mit zartem   genügen für die Annahme, dass  sich mächtige
                  Wirklichkeitsbezug.  Der Maler und Glaskünstler,   (Regen-)Wolken über  einen entfesselten Himmel
                  dem vor allem Glasfenster zur Berühmtheit    wälzen.
                  verhalfen - mehr als eintausend hat er gestaltet -,
                  betont unorthodox den Bildträger: Die grobe








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