Page 7 - Galerie Schrade | 50 Jahre - seit 1971
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Wenn der Goldfasan singt


                  Abstraktion als Kunst der Vergegenständlichung parallel zur Wirklichkeit





                  Ein halbes Jahrhundert Galerie Schrade, fünf   - führt der Weg stimmig zu  Tesfaye Urgessa
                  Jahrzehnte Brückenschlag als Passion. Die Galerie   (*1983) als dem jüngsten Künstler, den die Galerie
                  feiert 2021 ihr 50jähriges Bestehen im Geist ihrer   aktuell betreut. Was Picasso von Afrika gelernt hat,
                  bewährten Programmatik als Fest für das Auge,   nutzt wiederum Urgessa als Fundament. Körper
                  das Abstraktion und Gegenständlichkeit nicht als   müssen nicht wirklichkeitsgetreu  aufgefasst,
                  hartes Gegensatzpaar auffasst, sondern als weit-  sondern können karikaturartig verfremdet werden
                  räumiges Gelände mit fließenden Übergängen.  für symbolstarke Aussagen. Ein Charakteristikum
                  Die Festrobe schwingt um den unverändert     ist die Überdehnung von Gliedmaßen. Im
                  attraktiven Markenkern der Galeriearbeit: „Ich   Zusammenhang mit der Black-Lives-Matter-
                  habe mich von Beginn an im Grenzbereich      Bewegung erscheint Urgessas Produktion in
                  zwischen Abstraktion und Figuration bewegt“,   einem weiteren erhellenden Licht. Der Äthiopier,
                  sagt Ewald Schrade, der die Galerie nicht zuletzt   der im Jahr 2010 nach Deutschland kam, in
                  in hartnäckigem Einsatz für vielversprechende   Nürtingen lebt und arbeitet und gerade eine große
                  Nachwuchspositionen zur Blüte gebracht und als   internationale Karriere antizipieren darf, ist auch
                  feste Größe weit über Baden-Württemberg hinaus   der jüngste Teilnehmer dieser Übersichtsschau.
                  etabliert hat.                               Sie setzt sich zum Ziel, einerseits differenziert
                                                               auf stilgeschichtliche, inhaltliche und formale
                  Die aufregende Gratwanderung im Bereich von   Aspekte zu blicken und die Unterschiede zwischen
                  Gegenständlichkeit und Gegenstandslosigkeit, zu   einzelnen Positionen zur Diskussion zu stellen
                  der ihn neben Überzeugungen und Neigungen    innerhalb des gewählten Spektrums schöpferischer
                  seine niemals nachlassende Entdeckerleidenschaft   Herangehensweisen. Andererseits möchte sie
                  trieb, bezeichnet er als „grundsätzliches Anliegen   (wahl-)verwandtschaftliche  Bezüge aufzeigen,
                  des Hauses“. Ewald Schrade hat über mehr als ein   die sich womöglich dem Betrachter ad hoc
                  halbes  Saeculum Kunstgeschichte begleitet und   noch nicht erschließen. Der - mitunter schmale -
                  gleichsam mit geschrieben. Vor dem Hintergrund   Grat zwischen Abstraktion und Figuration wird
                  der Kunstströmungen des 20.Jahrhunderts setzte   beispielhaft ausgelotet dank exemplarischer
                  er entschlossen Schwerpunkte. Das Galerie-   Werke von Künstlern beiderlei Geschlechts, denen
                  jubiläum gibt Gelegenheit zu einem facettenreichen   die Galerie großenteils lange verbunden ist.
                  Resümee und dieser Generationen übergreifenden   Abstraktion als  Kunst der Vergegenständlichung
                  Ausstellung   als  Auftakt zu  zahlreichen  weiteren   parallel zur Wirklichkeit ist oft Anspruch und Ziel
                  Veranstaltungen im Jubiläumsjahr.            der Beteiligten.
                                                               Dabei liegt der Fokus der Galerie immer auch auf
                  Von  Adolf Hölzl (1853-1934), dem ältesten   den jeweils zeitgenössischen Œuvres. Urgessas
                  Künstler der Galerie, über Pablo Picasso (1881-  Arbeiten bedeuten nicht zuletzt eine Landmarke
                  1973) und George Braque (1882-1963), die mit   im Kontext der jüngeren Bestrebungen, das
                  realitätsverwurzelten Figurenkompositionen neben   eurozentristische und starr der Westkunst verhaftete
                  freieren kubistischen Konstruktionen reüssierten,   Bild der Gegenwartskunst zu erweitern um einer
                  sowie  Erich Heckel (1883-1970) - in der     global orientierten Neuausrichtung willen, die sich
                  Jubiläumsouvertüre nicht mit Exponaten vertreten,   nicht länger rassistisch überheblicher Tendenzen
                  jedoch als Leitgestirne im Hintergrund mit dabei   schuldig macht. Nicht nur im institutionellen








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